WHO´S WHO - Persönlichkeiten in der Homöopathie

Dr. Bijoy Kumar Bose

*1879 nahe Kalkutta, Bengalen, †16. Dezember 1977

Sein Vater war Richter und Bijoy wuchs in einer wohlhabenden, angesehenen Familie auf. Nach Plänen seiner Eltern sollte er studieren und eine gut bezahlte Stelle in der englisch-indischen Verwaltung einnehmen. Stattdessen schloss er sich einer militanten Bewegung an, die Indien aus der britischen Kolonialherrschaft befreien wollte. Im Osten des Subkontinents, in Bengalen, waren die Unabhängigkeitsbestrebungen besonders ausgeprägt. Sie bekämpften Pläne der britischen Kolonialmacht, Bengalen zwischen Hindus und Moslems aufzuteilen. (Im weiteren Verlauf der Geschichte zeigt sich, dass die Teilung nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 sehr wohl erfolgte, als auch Pakistan unabhängig wurde und aus dem Landesteil Ostpakistan 1971 der Staat Bangladesch entstand.)

Bijoy Bose wollte aus dem Untergrund heraus kämpfen und versuchte Handgranaten und Schusswaffen zu organisieren. Um einer Verhaftung durch die Polizei zu entgehen floh er unter großen Schwierigkeiten und ohne Geld nach Frankreich. Als die britische Regierung herausfand, das Bose sich in Frankreich aufhielt, drängte sie die Franzosen, ihn zu verhaften und auszuliefern. Er versteckte sich bei indischen und französischen Sympathisanten, und es gelang ihm, nach Amerika zu entkommen.

Die amerikanischen Behörden wollten den Grund seines Aufenthaltes in den USA wissen. Die Antworten, die Bose gab, waren für die Behörden nicht ausreichend und so meldete er sich als Student beim „New York Homoeopathic Medical College and Flower Hospital“ an. Als er merkte, dass er von dort aus seine Ziele nicht weiter verfolgen konnte, zog er nach Ann Arbor und schrieb sich an der Universität von Michigan ein. Hier blieb er für zwei Jahre.

Über einen seiner Ausbilder, Dr. Dewey, erfuhr er von Dr. James Tyler Kent, damals Dekan des „Hering Medical College“. Bei diesem berühmten Anhänger der Lehre Hahnemanns wollte er Homöopathie studieren. Kent bat Bose zu einer Befragung zu seinen Beweggründen.

Kent wollte in diesem Gespräch wissen, ob die Homöopathie in Indien als Heilmethode anerkannt sei, und ob Bose mit einem Diplom in dieser Heilkunst eine Arbeitsmöglichkeit hätte.

Als Bose diese Fragen verneinte, riet ihm Kent vor einer weiteren Ausbildung ab. Er meinte, man müsse verrückt sein, eine Ausbildung anzustreben, von der man keinen Nutzen hat, für die man keine Anerkennung erhält und für die es keine berufliche Zukunft gibt.

Da regte sich in Bose der innere Rebell. Er erwiderte mit schriller Stimme, dass wohl Kent selbst verrückt sein müsse, wenn er Studenten unterrichte, die später in ihren Heimatländern keine Arbeitsmöglichkeiten und keine Zukunft haben. Bose prophezeite Kent, dass in nicht allzu ferner Zukunft Studenten eines unabhängigen Indiens nicht mehr nach Amerika gehen müssten, um Homöopathie zu studieren, sondern dass dies in einem freien Indien möglich sein wird.

Dr. James Tyler Kent war beeindruckt von Boses Eifer und Überzeugung und nahm in väterlich in sein „Hering Medical College“ auf. So wurde aus dem Anarchisten, der bereit war, für seine Ziele zu töten, ein Heiler menschlicher Leiden.

Nach Abschluss seiner Ausbildung ging er zurück an die Universität von Kansas City und promovierte dort als M. D. (Medical Doctor) und D. O. (Doctor of Osteopathics).

Dank der persönlichen Verbindungen und dem Einfluss Dr. Kents konnte Dr. Bijoy Kumar Bose in sein Heimatland zurückkehren, ohne von der britischen Kolonialmacht verfolgt zu werden.

Er gründete eine Praxis in Kalkutta und danach in Benares. Er wurde Leibarzt von Shri Motilal Nehru, einem Weggefährten von Mahatma Gandhi. Da er mit seinen homöopathischen Methoden gute Erfolge erzielte, wurde er bald begehrter Arzt von Maharadschas und sein Ruf reichte bis in die Nachbarländer Indiens. Er arbeitete hart und erreichte Ruhm, Ansehen und wurde wohlhabend.

Der Gründer und Vorsteher des „Calcutta Homoeopathic College“, Dr. D. N. Ray hatte ein Alter erreicht, das ihn drängte, sich Gedanken über die Zukunft seiner Institution zu machen. Dr. Bose war im bekannt und Ray erkannte hinter der eleganten Fassade Boses den selbstlosen Arbeiter und Verfechter der homöopathischen Lehre. Dr. Ray schieb Bose einen persönlichen Brief und tatsächlich, Dr. Bijoy K. Bose ließ Geld, Ruhm, Ehre und seine gutgehende Praxis hinter sich und kam nach Kalkutta ans „Calcutta Homoeopathic College“. Hier arbeitete er 40 Jahre lang, ohne je ein hohes Amt zu bekleiden. Er hat es nie bereut. Rührig, schüchtern, aber mit Rückgrat kämpfte er für die reine Lehre und lehnte sich immer auf, wenn er etwas falsch fand, ob in der Homöopathischen Fakultät, bei Zusammenkünften in der Schule oder in politischen Angelegenheiten.

Das College expandierte und florierte. Aus 5 Betten wurden 200, aus einer Baracke ein Gebäude mit drei Blocks und 10 Abteilungen. Als Dr. Bose in den Ruhestand trat, war das „Calcutta Homeopathic Hospital“ die größte homöopathische Institution Asiens.

Dr. Bijoy Kumar Bose war ein direkter Mensch. Er duldete keine Abweichung von Hahnemanns Lehre und galt bei vielen als arrogant, starrköpfig und unberechenbar. Ihn selbst berührte das wenig, er wusste, dass Diplomatie nicht seine Stärke war. Dennoch hat er viele junge Menschen inspiriert und zu guten Homöopathen ausgebildet. Immer wieder gab er seinen Schülern die folgende Maxime mit auf den Weg:

„Aufhebung von Krankheiten, Unordnung und Disharmonie sei eure Mission, Dienst gegenüber der Gesellschaft und das Wohlergehen der ganzen Schöpfung sei eure Pflicht, zu allen gut und niemandem böse zu sein sei eure Leidenschaft, Homöopathie sei eure Lebensart, und Wahrheit euer Führer.“

Dr. Bijoy K. Bose war ein Mann der Praxis. Er hinterließ so gut wie keine Veröffentlichungen, konnte jedoch in Vorlesungen äußerst anschaulich unterrichten. Er verfügte er über ein hohes schauspielerisches Talent, was ihn befähigte, die verschiedenen Typen von Heilmitteln derart eindrücklich vorzustellen, dass sich seine Vorlesungen selbst in den feinsten Nuancierungen bei seinen Studenten tief ins Gedächtnis einprägten.

Seine in jungen Jahren James Tyler Kent gegenüber geäußerte Prophezeiung, hatte sich erfüllt. In einem unabhängigen Staat Indien war die Homöopathie als Heilkunst anerkannt und wer Homöopathie studieren wollte, musste nicht in die USA gehen, sondern konnte sich sein Wissen auch im eigenen Land erwerben. Er hatte die meisten Homöopathie-Lehrer persönlich ausgebildet. Dr. Bijoy K. Bose vermittelte seinen Schülern, dass man nur mit fundierter Kenntnis der Materia Medica imstande ist, das gewaltige Potenzial der Homöopathie für die Heilung der Patienten einzusetzen. Andererseits erstaunte es seine Studenten immer wieder, mit welcher Schnelligkeit er zielgenau erkannte, woran ein Patient litt. Für sein Umfeld sah es oft so aus, als ob er einmal mehr auf die Geistesverfassung, ein anderes Mal nur auf die Umweltsituation achtete und dann wieder lediglich die auslösende Ursache hinterfragte. In Wirklichkeit hatte er sich schon ein Bild der Krankheit gemacht, ohne dass seine Schüler seine Gedankengänge in dieser Schnelligkeit erfassen konnten. Bei Visiten hat er seinen gespannt lauschenden Studenten oft das infrage kommende Heilmittel zugeflüstert, bevor der Patient überhaupt Platz genommen hatte.

Er hat seine Schüler auch gelehrt, den Tod zu akzeptieren. Bose war ein Gegner von medizinischen Maßnahmen, das Leben künstlich zu verlängern. Auch Patienten gegenüber betonte er, wie wichtig es für den Menschen sei, bewusst sterben zu können. Ende November 1977, als es mit ihm selbst zu Ende ging, und er kraftlos auf dem Sterbebett lag, kamen viele seiner Schüler, Patienten und Freunde, um Abschied zu nehmen. Er sprach zu ihnen, drei Wochen vor seinem Tod:

„Ich werde sterben, aber nicht jetzt. Ich beobachte, wie der Tod langsam kommt und das Leben geht. Ich spüre, wie der Tod allmählich Besitz ergreift von Bereichen meines Lebens, die geräumt wurden von meinem Lebenswillen. Organe gehorchen mir nicht mehr, mein Geist gehorcht mir nur noch teilweise. Unfalltod ist ein plötzlicher Tod, schrittweiser Tod ist wachsender Ungehorsam des Körpers und der Organe.“

Der große Arzt und begnadete Homöopath Dr. Bijoy Kumar Bose starb am 16. Dezember 1977 im gesegneten Alter von 98 Jahren friedlich und nach einem erfüllten Leben.

Er erlebte die offizielle Anerkennung der Homöopathie als gleichgestelltes Medizinsystem 1937, die Unabhängigkeit seines geliebten Vaterlands 1947 und die Blüte der homöopathischen Heilkunst Indiens, an der Dr. Bijoy Kumar Bose einen entscheidenden Anteil hatte.

Der Nachwelt, seinen Schülern und Freunden hinterlässt er die von ihm oft verwendeten Worte:
„Es ist einfach, ein erfolgreicher Arzt, aber schwierig, ein großer Mensch zu sein.“

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