WHO´S WHO - Persönlichkeiten in der Homöopathie

Dr. James Tyler Kent

*31. März 1849 Woodhull, New York, †06. Juni 1916 Sunnyside Orchard, Stevensville, Montana.

Er war der Sohn von Stephan Kent und dessen Ehefrau Caroline Tyler. Die Eltern ermöglichten ihm nach dem Besuch der Mittelschule in Woodhull den Besuch der „Madison University in Hamilton, N.Y., wo er den Grad eines Bachelor of Philosophy erlangte. Am „Medical College“ in Bellevue schloss er seine Studien 1870 mit dem „Master of Art“ ab, blieb aber an diesem Institut, um seine klinischen Semester zu absolvieren. Er bestand sein Examen mit hoher Auszeichnung und erlangte 1874 mit 25 Jahren sein Diplom als praktischer Arzt. Dennoch setzte er sein Studium an der eklektischen Medizinfakultät in Cincinnati, Ohio fort.

An einer eklektischen Fakultät der damaligen Zeit wurden dieselben Studiengänge angeboten, wie sie auch in Europa gelehrt wurden. Anatomie, Physiologie Histologie u. a. Allerdings waren die Therapievorlesungen umfangreicher. Außer Allopathie, Naturheilkunde, chiropraktischen und anderen Behandlungsarten wurde auch Homöopathie ohne die damals oft vorhandenen Berührungsängste bei Anhängern der Schulmedizin unterrichtet. Alle Fachgebiete, auch die Homöopathie, wurden jedoch recht oberflächlich gelehrt, weswegen die homöopathische Heilmethode den Jungen Arzt keineswegs überzeugen konnte.

Er ließ sich als eklektischer Arzt in St. Louis, Missouri, nieder und heiratete 1875, 26-jährig, eine junge baptistische Amerikanerin. Er selbst war ebenfalls Baptist und galt als gewissenhafter und rechtschaffener Arzt. Er zeichnete sich durch seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus und wurde schon bald ein geachtetes Mitglied der „Nationalen Vereinigung eklektischer Ärzte.“ Obwohl die eklektische Medizin ihren Anhängern die größtmögliche Wahlfreiheit ihrer Behandlungsmethoden gestattete, konnte Kent jedoch in keiner Disziplin Erfüllung finden. Mit 28 Jahren nahm er deshalb den Posten eines Professors für Anatomie am „American College“ in St. Louis an. Diese, für ihn in ihren Ergebnissen sicheren und „logischen Wissenschaft betrieb er mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit.

Als seine geliebte Frau 1877 an einem merkwürdigen Leiden erkrankte und weder er, noch irgendein von ihm hinzugezogener Arzt, ob Eklektiker oder Allopath, die Symptome von Schwäche, Schlaflosigkeit und Blutarmut bessern konnte, drängte ihn seine Frau, einen Homöopathen zu Rate zu ziehen. Kent gab schließlich nach und, ohne dass er an einen Erfolg glaubte, bat er Dr. Phelan, sich den Leiden seiner Frau anzunehmen. Es erschien ein alter Mann mit weißem Spitzbart und altmodischer Bekleidung, der seiner Frau über eine Stunde lang seltsame Fragen stellte, die bei Kent nur Unverständnis und Kopfschütteln hervor riefen. Phelan fragte nicht nur nach den Symptomen ihrer Krankheit, sondern stellte auch Fragen nach ihren Essgewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen, Reaktionen auf Wärme und Kälte, sowie ihr monatliches Unwohlsein. Außerdem klopfte er sie ab (Auskultation), untersuchte sie gründlich und verlangte dann ein Glas Wasser. Dort hinein schüttete er winzige Kügelchen mit der Anweisung, alle zwei Stunden einen Teelöffel davon zu verabreichen, bis seine Frau eingeschlafen sei. Kents Frau hatte seit Wochen kaum ein Auge zugemacht und Dr. Phelan ordnete mit größtem Selbstverständnis an, dass Kent die Prozedur so lange fortsetzen solle, bis seine Frau in Schlaf falle. Kent hielt diesen greisen Homöopathen nun endgültig für einen Nichtskönner und verabschiedete ihn äußerst schroff.

Obwohl Kent keinerlei Hoffnung auf eine positive Wirkung des verabreichten Mittels hatte, gab er seiner Frau, wie von Dr. Phelan angeordnet, im genannten zeitlichen Abstand die Arznei. Die dritte Verabreichung verzögerte sich, da er über seiner Arbeit die Zeit vergaß. Als er nach vier Stunden rasch sein Versäumnis nachholen wollte, schlief seine Frau so tief und fest, wie seit langer Zeit nicht mehr.

Dr. Phelan besuchte Kents Frau täglich und nach einigen Wochen konnte er sagen, dass er die Frau geheilt hatte. Was keinem berühmten und teilweise weltbekannten Arzt der verschieden medizinischen Fachrichtungen gelungen war, hatte dieser homöopathische Praktiker auf sanfte und doch schnelle und dauerhafte Weise zu Wege gebracht.

Kent, als ehrlicher und gerechter Mensch, entschuldigte sich bei Dr. Phelan für seine Skepsis und sein anfängliches Misstrauen. Er bat den Homöopathen, ihn in Hahnemanns Organon zu unterrichten, da er diese Heilmethode von Grund auf erlernen wollte. Mit der ihm eigenen Besessenheit beschäftigte er sich Tag und Nacht mit der gesamten zur Verfügung stehenden homöopathischen Literatur der Vereinigten Staaten, und von Tag zu Tag mehr war er von der heilsamen Wirkung Homöopathie überzeugt.

Er gab seine Anatomie-Professur auf und trat aus der nationalen Eklektikervereinigung aus und widmete sich fortan mit Überzeugung der Homöopathie. Er befasste sich eingehend mit allem, was Dr. Phelan ihn lehrte, und was er sich selbst in unermüdlicher Arbeit angeeignet hatte. Er erkannte an vielen Heilungsprozessen die Wahrhaftigkeit des Ähnlichkeitsgesetzes und den Wert der kleinen Dosierung. Darüber hinaus stellte er fest, dass jeder Patient individuell auf verschriebene Arzneigaben reagierte.

1879 veröffentlichte er sein erstes Buch mit dem Titel „Sexual Neuroses“, womit er sich in Fachkreisen einen Namen machte.

1882 bis 1883 hatte er den Lehrstuhl für Chirurgie am „Missouri Homoeopathic College in St. Louis inne, als ihn Dr. Uhlmeyer, Professor für Materia medica, eindringlich bat, seine Nachfolge zu übernehmen. Auch in diesem Amt erwarb er sich höchste Anerkennung. Ab 1888 schließlich leitete er in der „Postgraduate School of Homöopathics“ die Fortbildungskurse für bereits praktizierende Mediziner, lehrte Philosophie und Materia medica und leitete die Poliklinik. Gleichzeitig war er Dekan dieses Instituts, das einen weltweiten Ruf als bestes Fortbildungszentrum für Hahnemanns Homöopathie genoss.

Wie hart Kent arbeitete mag daran ersichtlich sein, „dass er z. B. 1896 und 1897 neben seiner intensiven Privatpraxis 34.800 Poliklinikkonsultationen und –hausbesuche auswies.“(aus „Zur Theorie der Homöopathie“ von Pierre Schmidt)

Dann starb seine Frau, was für ihn ein schwerer Schicksalsschlag war, unter dem er lange Zeit litt. Er vertiefte sich noch mehr in seine homöopathische Forschung, führte Arzneimittelprüfungen durch und versuchte, die homöopathische Heilkunst zu vervollkommnen. Zu dieser Zeit befasste er sich auch mit den theosophischen Gedanken von Emanuel Swedenborg (1688 – 1772) und schloss sich dieser Bewegung an. So flossen transzendentale Gedanken in seine Forschung um Krankheit und Heilung ein, und Kent schuf auf geistig-seelischer Basis eine eigene Methode des Symptomenstudiums und der Similefindung.

Er behandelte damals die Patientin Clara Louise Toby, welche später seine zweite Frau wurde. Diese hatte ein abgeschlossenes Medizinstudium und praktizierte als homöopathische Ärztin. Wegen ihres Leidens hatte sie verschiedene berühmte Allopathen und einige der bekanntesten Homöopathen in den Vereinigten Staaten aufgesucht. Die Homöopathen hatten ihr „Lachesis“ verschrieben, welches zu den Symptomen ihrer Krankheit passte. Das Mittel sprach jedoch bei ihr nicht an. (Lachesis ist das Gift der mittel- und südamerikanischen Buschmeisterschlange, einer Gattung der Grubenottern, z.B. Lachesis muta) Kent fand nach reiflicher Überlegung und eingehendem Studiums des Falles zu dem Ergebnis, dass Lachesis eben nicht das gebotene Heilmittel war. Er warnte sie davor, das Mittel weiterhin einzunehmen, da die Gefahr einer Arzneikrankheit bestand, die unheilbar werden kann. Tatsächlich musste Frau Toby bei auftretenden Lachesis-Symptomen lebenslang Gegenmittel einnehmen.

Kent arbeitete mit der intelligenten, ihn inspirierenden Clara Louise Toby zusammen und veröffentlichte mit ihr seine großen Werke „Die Philosophie der Homöopathie“, seine Arzneimittellehre“ und ein „Repertorium“. Die Unterstützung dieser fähigen Mitarbeiterin trieb Kent zu weiteren Höchstleistungen an. Allerdings gelang es ihr nicht, ihn vor der Gesundheitsgefahr seiner unermüdlichen Überarbeitung zu bewahren und ihn dazu zu bringen, sich eine Ruhepause zu gönnen.

Nach einigen Jahren wurde er nach Chicago berufen und wurde Dekan und Professor für Philosophie der Homöopathie, Materia medica und Repertorisierkunde am „Dunham Medical College“. In Chicago gab es auch noch das „Hering Medical College“, welches die gleichen Ziele wie das „Dunham“ verfolgte. Dies bedeutete doppelte Administration und doppelte Kosten. Die Homöopathen, die Gönner und Geldgeber beider Institute führten Verhandlungen über eine Verschmelzung der beiden Einrichtungen, die 1903 zum Ziel führten. Der Name „Hering Medical College“ wurde nun für das neue Institut zum Inbegriff für eine umfassende medizinische Wissensfabrik. Nach den Notizen von Pierre Schmidt in dem Buch „Zur Theorie der Homöopathie“ wurde dort gelehrt: Das „Organon“, homöopathische Arzneimittellehre, Anatomie, Physiologie, Histologie, Pathologie, Physiologische Chemie, Toxikologie, Pharmakologie, Diätetik und Hygiene, Gerichtsmedizin, Allgemeinpraxis, Physikalische und Klinische Diagnostik, Neurologie, Kinderheilkunde, Dermatologie, Herz- und Lungenkrankheiten, Urologie, Geschlechtskrankheiten, Gynäkologie und Geburtshilfe, Ophthalmologie, Otorhinolaryngologie und Chirurgie.

Daneben schrieb Kent seine in der Praxis erworbenen Erkenntnisse nieder und schilderte zwölf mögliche Reaktionsarten auf die Behandlung mit homöopathischen Mittel.

Kent lehrte als Professor, stand einer Praxis gewaltigen Ausmaßes vor, machte Hausbesuche, bewältigte täglich einen immensen Eingang an Post und Telegrammen von Rat- und Hilfe Suchenden, betrieb daneben weiter homöopathische Forschungen. Dieser fast übermenschliche Arbeitsaufwand konnte nicht ohne gesundheitliche Folgen bleiben. Auf dringendes Zureden seiner Frau, seiner Kollegen und Schüler, beschloss er endlich, sich ein wenig zu erholen. Dabei behielt er immer noch im Hinterkopf die Idee, ein umfassendes Werk über Homöopathie zu verfassen, denn er betrachtete seine Arbeiten über die „Philosophie der Homöopathie“ und die „Arzneimittellehre“ nur als unvollkommene Niederschriften seiner Gedanken.

Er begab sich, widerstrebend, mit seiner Frau in sein Landhaus Sunnyside Orchard bei Stevensville im Bundesstaat Montana. Kurz nach seiner Ankunft verschlimmerte sich seine Bronchitis, an der er schon geraume Zeit litt. Als auch noch eine Nephritis dazu kam, konnte sein Körper und sein Geist wegen der jahrelangen Überanstrengung und Selbstausbeutung der Krankheit nichts mehr entgegen setzen. James Tyler Kent verstarb am 6. Juni 1916 mit 67 Jahren.

Sein Tod traf die gesamte homöopathische Welt schwer. Es betrauerten ihn zahlreiche medizinischen Gesellschaften, deren Mitglied er war, wie zum Beispiel die“ Homöopathisch-medizinische Vereinigung von Illinois“, die „International Hahnemannian Association“ oder das „American Institute of Homeopathie“. Der Administrationsrat des homöopathischen Spitals von Chicago betrauerte den Tod seines Präsidenten.

Kent war bescheiden und arbeitsam. Oft wurden ihm auf Kongressen Ehrenposten angeboten, die er jedoch stets ablehnte. Lieber zog er sich zurück, um, ohne nach Anerkennung zu trachten, sich seiner Arbeit hinzugeben. Nichts war ihm so zuwider, wie das ignorante Beharren auf überkommenen Lehrmeinungen mancher von sich und ihrer Bedeutung überzeugter Kollegen. Lieber nahm er in Kauf, dass man ihn und seine Leistungen verkannte, als sich auf unfruchtbare Diskussionen mit Angebern und Pedanten einzulassen, die nicht einmal andeutungsweise den Wert der Homöopathie, die Kent voller Überzeugung vertrat, verstanden.

James Tyler Kent gilt heute noch als einer der bedeutendsten Nachfolger Samuel Hahnemanns.

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